Stabilisierungspolitik in einer kleinen offenen Volkswirtschaft

Stabilisierungspolitik in einer kleinen offenen Volkswirtschaft
1. Charakterisierung: Im Rahmen (keynesianischer)  Totalmodelle offener Volkswirtschaften lassen sich die Wirkungen stabilisierungspolitischer Maßnahmen (bes. der Fiskal- und Geldpolitik) auf zentrale gesamtwirtschaftliche Variablen analysieren. Dabei wird i.d.R. von vollkommener Kapitalmobilität sowie von einem System flexibler  Wechselkurse ausgegangen. Ist die betrachtete Volkswirtschaft klein gegenüber dem Rest der Welt, üben stabilisierungspolitische Maßnahmen des Inlands vernachlässigbare Wirkungen auf das Ausland aus, so dass die makroökonomischen Auslandsvariablen (wie ausländisches Nationaleinkommen, Preisniveau und Zinssatz) als exogene Größen aufgefasst werden können.
- 2. Expansive Fiskal- und Geldpolitik im Keynesschen Unterbeschäftigungsfall: a) Eine expansive Fiskalpolitik in Form einer Steigerung der Staatsausgaben (G) führt zunächst zu einer Güternachfrageerhöhung und über den vermehrten Bedarf an Transaktionskasse zu einer Zinssteigerungstendenz im Inland; die daraus resultierenden massiven Nettokapitalimporte bewirken im System flexibler Wechselkurse eine  Aufwertung der Inlandswährung, die wiederum einen Crowding-out-Effekt  (Crowding-out) in Form einer Verschlechterung des inländischen  Außenbeitrages hervorruft. Da die IS-Kurve in Abbildung „Stabilisierungspolitik in einer kleinen offenen Volkswirtschaft (1)“ bei unveränderter LM-Kurve sowie unveränderter Angebotskurve Ys zur Erreichung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wieder in ihre Ausgangslage zurückkehren muss, ergibt sich – ebenso wie im IS-LM-Z-Modell – ein totales aufwertungsbedingtes Crowding-out. Angebotsseitig kommt es zu keiner Änderung des Güterangebots Y, da das Güterpreisniveau P und – wegen der Konstanz des Geldlohnsatzes W im Keynesschen Unterbeschäftigungsfall – auch der Produzentenreallohn W/P unverändert geblieben sind. Bei vollkommener Kapitalmobilität ist die Fiskalpolitik im System  flexibler Wechselkurse also ungeeignet, einen bestehenden Unterbeschäftigungszustand zu beseitigen.
b) Die Geldpolitik ist dagegen in diesem Wechselkurssystem effizient: Eine Steigerung der Geldmenge M löst über massive Kapitalexporte eine Abwertung der Inlandswährung aus, die den inländischen Außenbeitrag verbessert und zu einer Erhöhung der Güternachfrage führt. Da hiermit eine Preissteigerung im Inland verbunden ist, sinkt der Produzentenreallohnsatz, so dass es zu einer Beschäftigungssteigerung und einer Ausweitung des Güterangebots kommt. Im P-Y-Diagramm (vgl. Abbildung „Stabilisierungspolitik in einer kleinen offenen Volkswirtschaft (2)“) werden die LM- und IS-Kurve jeweils nach rechts verschoben, so dass sich ein neues gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bei einem im Vergleich zur Ausgangslage höheren Wert des Nationaleinkommens und Preisniveaus ergibt.
3. Expansive Fiskal- und Geldpolitik im neoklassischen Vollbeschäftigungsfall: a) Fiskalpolitik: Bei vollkommener Lohn- und Preisflexibilität gehen von einer Staatsausgabensteigerung positive Realeinkommenswirkungen bei einer gleichzeitigen Steigerung der Terms of Trade τ aus (vgl. Abbildung „Stabilisierungspolitik in einer kleinen offenen Volkswirtschaft (3)“). Im τ -Y-Diagramm wird die IS-Kurve durch den Anstieg der Güternachfrage nach rechts verschoben, während die Lage der Güterangebotskurve unverändert bleibt; trotz der realen Aufwertung der Inlandswährung und dem daraus resultierenden Rückgang des Außenbeitrages kommt es insgesamt zu einer Steigerung des Einkommens und der Beschäftigung. Im Unterschied zum Keynesschen Unterbeschäftigungsfall ergibt sich im neoklassischen Vollbeschäftigungsfall kein totales, sondern nur ein partielles Crowding-out privater Güternachfrage. Die reale Aufwertung (Terms-of-Trade-Steigerung) fällt jetzt geringer aus, was sich mit der inländischen Preisniveausenkung begründen lässt. Der Rückgang des Preisniveaus, der anhand der LM-Kurve erkennbar ist, resultiert daraus, dass die Wechselkurssenkung isoliert gesehen das Güterangebot erhöht und die Güternachfrage vermindert, also einen Angebotsüberschuss auf dem Gütermarkt erzeugt, der über eine Kontraktion des inländischen Preisniveaus abgebaut werden kann. Auf der Angebotsseite ergibt sich durch die Terms-of-Trade-Steigerung eine Senkung des Produzenten- und eine Steigerung des Konsumentenreallohnsatzes, wodurch die gleichgewichtige Beschäftigung und das Güterangebot zunehmen ( Totalmodelle offener Volkswirtschaften, Angebotsseite). In einem analogen Modell für eine geschlossene Volkswirtschaft würde dagegen das in diesem Fall vollkommen preisunelastische Güterangebot unverändert bleiben und das Preisniveau durch die Staatsausgabenerhöhung ansteigen. Bei vollkommener Preis- und Lohnflexibilität kommt es also durch den Übergang von einer geschlossenen zu einer offenen Volkswirtschaft zu einer grundlegenden Änderung in der Wirkungsweise der Fiskalpolitik.
– b) Für die Geldpolitik gilt eine entsprechende Aussage nicht; vielmehr ist sie aufgrund einer zwischen dem realen und monetären Sektor bestehenden Dichotomie auch im Fall einer offenen Wirtschaft ineffizient in Bezug auf alle Realgrößen und Relativpreise. Im System flexibler Wechselkurse bewirkt eine Geldmengenexpansion lediglich proportionale Preis-, Lohn- und Wechselkurssteigerungen. Da es im τ -Y-Diagramm zu keiner Verschiebung der IS- und Ys-Kurve kommt, bleiben die Terms of Trade und das reale Inlandsprodukt unverändert.
- 4. Für stabilisierungspolitische Maßnahmen der Nachfragesteuerung gilt bei Vorliegen einer kleinen offenen Volkswirtschaft, dass durch den Übergang vom Keynesschen Unterbeschäftigungs- zum neoklassischen Vollbeschäftigungsfall die Geldpolitik im System flexibler Wechselkurse ineffizient und die Fiskalpolitik effizient wird.

Lexikon der Economics. 2013.

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